Erhöhte Absetzungen bei Gebäuden in Sanierungsgebieten – und die rechtswidrige Bescheinigung der Gemeinde
Hat die zuständige Gemeindebehörde eine bindende Entscheidung über die von ihr nach § 7h Abs. 1 EStG zu prüfenden Voraussetzungen getroffen, hat das Finanzamt diese im Besteuerungsverfahren ohne weitere Rechtmäßigkeitsprüfung zugrunde zu legen, es sei denn, die Bescheinigung wird förmlich zurückgenommen, widerrufen oder ist nach § 44 VwVfG nichtig und deshalb unwirksam.
Bei einem im Inland belegenen Gebäude in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder städtebaulichen Entwicklungsbereich kann der Steuerpflichtige nach Maßgabe des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG -abweichend von § 7 Abs. 4 und 5 EStG- im Jahr der Herstellung und in den folgenden sieben Jahren jeweils bis zu 9 % der Herstellungskosten für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB absetzen. § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG ist entsprechend anzuwenden auf Herstellungskosten für Maßnahmen, die der Erhaltung, Erneuerung und funktionsgerechten Verwendung eines Gebäudes i.S. des Satzes 1 dienen, das wegen seiner geschichtlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Bedeutung erhalten bleiben soll, und zu deren Durchführung sich der Eigentümer neben bestimmten Modernisierungsmaßnahmen gegenüber der Gemeinde verpflichtet hat (§ 7h Abs. 1 Satz 2 EStG). Der Steuerpflichtige kann die erhöhten Absetzungen im Jahr des Abschlusses der Maßnahme und in den folgenden elf Jahren auch für Anschaffungskosten in Anspruch nehmen, die auf Maßnahmen i.S. der Sätze 1 und 2 entfallen, soweit diese nach dem rechtswirksamen Abschluss eines obligatorischen Erwerbsvertrags oder eines gleichstehenden Rechtsakts durchgeführt worden sind (§ 7h Abs. 1 Satz 3 EStG).
Gemäß § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG kann der Steuerpflichtige die erhöhten Absetzungen jedoch nur in Anspruch nehmen, wenn er durch eine Bescheinigung der zuständigen Gemeindebehörde die Voraussetzungen des Abs. 1 für das Gebäude und die Maßnahmen nachweist. Die Bescheinigung ist materiell-rechtliche Abzugsvoraussetzung für die Begünstigung des § 7h EStG und Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung1. Dies folgt aus dem Zweck des § 7h Abs. 2 EStG. Denn mangels eigener Sachkunde ist es den Finanzbehörden nicht möglich zu überprüfen, ob Maßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 EStG durchgeführt worden sind. Die Finanzverwaltung erkennt an, dass die Bescheinigung der Gemeindebehörde keiner Nachprüfung unterliegt2.
Eine Bescheinigung ist bindend, und zwar unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit3. Die Bindungswirkung der Bescheinigung erstreckt sich auf die in § 7h Abs. 1 EStG benannten Tatbestandsmerkmale, nämlich auf die Feststellung, ob das Gebäude in einem Sanierungsgebiet belegen ist, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB bzw. Maßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG durchgeführt und ob Zuschüsse aus Sanierungs- oder Entwicklungsfördermitteln gewährt worden sind. Allein die Gemeinde prüft, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB durchgeführt wurden, und entscheidet insbesondere nach Maßgabe des BauGB, wie die Begriffe „Modernisierung“ und „Instandsetzung“ zu verstehen sind4.
Hat die Bescheinigungsbehörde -im Streitfall die Stadt- eine bindende Entscheidung über eine der in § 7h Abs. 1 EStG genannten Voraussetzungen getroffen, hat das Finanzamt diese im Besteuerungsverfahren ohne weitere Rechtmäßigkeitsprüfung zugrunde zu legen, es sei denn, sie wäre von der Bescheinigungsbehörde förmlich zurückgenommen oder widerrufen worden oder nach § 44 VwVfG nichtig und deshalb unwirksam5. Besteht eine wirksame Bescheinigung, entfaltet diese die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids. Ist die Bescheinigung hinsichtlich der von der Gemeinde zu prüfenden Voraussetzungen inhaltlich unrichtig, ändert auch dies -ungeachtet der etwaigen Rechtswidrigkeit- nichts an der Bindungswirkung des Grundlagenbescheids6.
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall lag damit eine wirksame Bescheinigung i.S. des § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG vor. Diese entfaltete für die Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 EStG Bindungswirkung für die Finanzbehörden:
Die zuständige Stadt hat entschieden, dass die Hauseigentümer an dem Gebäude Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB durchgeführt haben. Das Finanzamt muss diese Entscheidung infolge der Bindungswirkung der Bescheinigung hinnehmen, auch wenn es sie für unzutreffend hält. Das VG hat den Rücknahmebescheid der Stadt vom 21.10.2010 aufgehoben.
Die Bescheinigung ist auch nicht gemäß § 44 VwVfG nichtig. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den Entscheidungen des VG und des OVG, die von der Wirksamkeit des Verwaltungsakts ausgehen.
Insbesondere unterliegt die Bescheinigung im Streitfall nicht wegen eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen einem Amtsträger der Stadt und den Hauseigentümern zum Nachteil der Finanzbehörden als Verstoß gegen die guten Sitten der Nichtigkeitsfolge des § 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG. Es kann dahinstehen, ob die Rechtsfigur der Kollusion in dem hier maßgeblichen Zusammenhang überhaupt Anwendung finden würde. Es liegen jedenfalls keine Anhaltspunkte für ein einverständliches Zusammenwirken zwischen einem Vertreter der Stadt und den Hauseigentümern zum finanziellen Nachteil der Finanzbehörden vor. Vielmehr geht das Finanzgericht von der Unwissenheit der Hauseigentümer über die inhaltliche Unrichtigkeit der Bescheinigung aus.
Anders als das Finanzgericht und das Finanzamt meinen, ist die Berufung der Hauseigentümer auf die Bindungswirkung der Bescheinigung zudem nicht rechtsmissbräuchlich. Vielmehr ist das Finanzamt aufgrund der Bindungswirkung der Bescheinigung verpflichtet, seiner Entscheidung die von der Stadt geprüften Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 EStG zugrunde zu legen. Die Voraussetzungen für einen Rechtsmissbrauch liegen nicht vor. Soweit das Finanzgericht meint, die Bindungswirkung der unzutreffenden Bescheinigung würde zur Legitimation einer (versuchten) Steuerhinterziehung der Hauseigentümer führen, ist dies schon nicht nachvollziehbar, da es selbst den dafür erforderlichen subjektiven Tatbestand verneint. Nach seinen Feststellungen geht das Finanzgericht -wie bereits dargelegt- von der Unwissenheit der Hauseigentümer über die inhaltliche Unrichtigkeit der Bescheinigung aus. Zudem lässt das Finanzgericht die Entscheidungsgründe des rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteils außer Acht.
Dabei war für den Bundesfinanzhof -anders als für das Finanzamt- auch erkennbar, dass mit den in der Bescheinigung genannten „Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB“ offensichtlich solche i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG bescheinigt werden. Aus der Bezugnahme auf § 177 BauGB ergibt sich zweifelsfrei, dass sie sich nur auf i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG förderungsfähige Maßnahmen bezieht. Die in der Bescheinigung ebenfalls enthaltene Aussage, dass eine gesonderte schriftliche Vereinbarung zu den genannten Maßnahmen nicht vorliegt, steht dem nicht entgegen, da eine solche Vereinbarung lediglich Voraussetzung für Aufwendungen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG ist. Ohnehin ist die Gemeindebehörde nicht zur Unterscheidung zwischen Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG und solchen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG verpflichtet7.
Anders als die Finanzverwaltung8 meint, muss die Bescheinigung keine Angaben zur Höhe der begünstigten Herstellungsaufwendungen enthalten. Bei Maßnahmen i.S. des § 7h EStG ist nämlich -anders als bei den nach § 7i EStG geförderten Baumaßnahmen an Baudenkmälern- nicht gesetzlich vorgeschrieben, dass sich aus der Bescheinigung selbst auch die Höhe der begünstigten Herstellungskosten ergeben muss9.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. April 2018 – IX R 27/17
- BFH, Urteile vom 22.09.2005 – IX R 13/04, BFHE 215, 158, BStBl II 2007, 373; vom 06.05.2014 – IX R 15/13, BFHE 246, 61, BStBl II 2015, 581; – IX R 16/13, BFH/NV 2014, 1729, und – IX R 17/13, BFH/NV 2014, 1731, sowie vom 22.10.2014 – X R 15/13, BFHE 247, 562, BStBl II 2015, 367, Anschluss an die Rechtsprechung des IX. Bundesfinanzhofs; BFH, Beschluss vom 06.10.2016 – IX B 81/16, BFHE 254, 514, BStBl II 2017, 196; BFH, Urteil vom 06.12 2016 – IX R 17/15, BFHE 256, 301, BStBl II 2017, 523[↩]
- vgl. R 7h (4) Satz 2 EStR und H 7h „Bindungswirkung der Bescheinigung“ des Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs 2017[↩]
- so schon BFH, Urteile vom 10.10.2017 – X R 6/16, BFHE 260, 55, Rz 25; – X R 1/17, BFH/NV 2018, 416, Rz 22; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.07.2010 2 K 5606/08, EFG 2011, 457, rechtskräftig[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 256, 301, BStBl II 2017, 523, Rz 16[↩]
- vgl. auch BFH, Urteile in BFHE 260, 55, Rz 29; in BFH/NV 2018, 416, Rz 26[↩]
- s. schon FG Baden-Württemberg, Urteil in EFG 2011, 457, rechtskräftig[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 215, 158, BStBl II 2007, 373, unter II. 1.b[↩]
- R 7h Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStR[↩]
- BFH, Urteile vom 04.05.2004 – XI R 38/01, BFHE 207, 100, BStBl II 2005, 171, zur Vorgängervorschrift des § 82g EStDV; in BFHE 247, 562, BStBl II 2015, 367, Rz 21, m.w.N.[↩]