Akteneinsicht im Steuerverwaltungsverfahren

Im Steuerverwaltungsverfahren besteht regelmäßig ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Akteneinsicht, welches die Finanzbehörde mit dem Schutz Dritter und ihrem Ermittlungsinteresse sowie ihrem Verwaltungsaufwand abzuwägen hat. Die Bestandskraft des Steuerbescheides steht dem Akteneinsichtsrecht hierbei nicht grundsätzlich entgegen.

In dem hier vom Niedersächsischen Finanzgericht entschiedenen Rechtsstreit hatten die Kläger für die Erstellung der Steuererklärung einen Steuerberater beauftragt und ihn zur Entgegennahme des Bescheides bevollmächtigt. Erst nach der Bestandskraft des Steuerbescheides haben die Kläger von dem Bescheid Kenntnis erlangt. Den Erläuterungen in dem Bescheid konnten sie entnehmen, dass es Rückfragen gegeben hatte, von denen sie ebenfalls keine Kenntnis hatten. Da der (nunmehr ehemalige) Steuerberater keine Auskunft gegeben hatte, beantragten sie beim Finanzamt Akteneinsicht um die Angaben zu überprüfen und um ggf. Regress nehmen zu können. Dies lehnte das Finanzamt ab. Den Klägern fehle das notwendige berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht. Ein Anspruch würde sich auch nicht aus der DSGVO ergeben.

Das Niedersächsische Finanzgericht folgte dem Finanzamt nicht und gab den Klägern Recht:

Das Finanzamt habe das Akteneinsichtsgesuch ermessenfehlerhaft abgelehnt. Anders als andere Verfahrensordnungen enthalte die Abgabenordnung zwar kein normiertes Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren, dem Steuerpflichtigen stehe aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ein Anspruch auf ermessensgerechte Entscheidung zu. Hierbei habe das Finanzamt die Belange des Steuerpflichtigen mit denen der Behörde abzuwägen.

Das Niedersächsischen Finanzgerichts hat in seiner Entscheidung die abzuwägenden Rechtsgüter konkretisiert und ausgeführt, dass aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG i.V. mit dem Prozessgrundrecht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und dem nunmehr in Art. 41 II lit. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich verankerten Recht auf Gehör grundsätzlich ein Akteneinsichtsrecht folge, welches die Finanzbehörde mit dem Schutz Dritter und ihrem Ermittlungsinteresse sowie ihrem Verwaltungsaufwand abzuwägen habe.

Weiterhin hat das Finanzgericht ausgeführt, dass Art 15 DSGVO auch auf direkte Steuern (wie die Einkommensteuer) Anwendung finde. Art. 15 DSGVO sehe jedoch nur ein Auskunftsrecht vor. Ob dieses Auskunftsrecht durch Akteneinsicht oder auf anderem Wege zu erfüllen sei, müsse das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Das Gericht konnte diese Frage dahinstehen lassen, da den Klägern bereits aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ein Akteneinsichtsrecht zustand.

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 18. März 2022 – 7 K 11127/18