Abzugssteuern für ausländische Künstler – und die Klage auf eine Freistellungsbescheinigung aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens
Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die durch im Inland ausgeübte oder verwertete künstlerische, sportliche, artistische oder ähnliche Darbietungen erzielt werden, einschließlich der Einkünfte aus anderen mit diesen Leistungen zusammenhängenden Leistungen, die mangels eines inländischen Wohn- oder Geschäftssitzes der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen, sind gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG unabhängig davon, wem die Einnahmen zufließen, beschränkt steuerpflichtig.
Erhoben wird die Steuer gemäß § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG im Wege des Steuerabzugs. Die Steuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Vergütung dem Gläubiger zufließt (§ 50a Abs. 5 Satz 1 EStG). In diesem Zeitpunkt hat der Schuldner der Vergütung den Steuerabzug für Rechnung des beschränkt steuerpflichtigen Gläubigers (Steuerschuldner) vorzunehmen (§ 50a Abs. 5 Satz 2 EStG).
Können Einkünfte, die dem Steuerabzug nach § 50a EStG unterliegen, nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden, sind zwar die Regeln über die Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Steuer vom Vergütungsschuldner ungeachtet des Abkommens zu beachten (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG).
Gemäß § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG kann jedoch in diesen Fällen der Vergütungsschuldner den Steuerabzug nach Maßgabe des DBA unterlassen oder nach einem niedrigeren Steuersatz vornehmen, wenn das BZSt dem Gläubiger aufgrund eines von ihm nach dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck gestellten Antrags bescheinigt, dass die Voraussetzungen dafür vorliegen (Freistellung im Steuerabzugsverfahren). Die Geltungsdauer der Freistellungsbescheinigung beginnt frühestens an dem Tag, an dem der Antrag beim BZSt eingeht (§ 50d Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 1 EStG). Voraussetzung für die Abstandnahme vom Steuerabzug ist, dass dem Vergütungsschuldner die Freistellungsbescheinigung vorliegt (§ 50d Abs. 2 Satz 5 EStG).
Die verfahrensgegenständlichen Anträge der Künstlerin sind auf die Erteilung von Freistellungsbescheinigungen i.S. von § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG gerichtet. Soweit die in Rede stehenden Vergütungen der Künstlerin jedoch schon vor Stellung der jeweiligen Anträge beim BZSt zugeflossen waren, besteht kein für eine Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) erforderliches Rechtsschutzinteresse (mehr) an einer gerichtlichen Sachentscheidung. Zwar ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanz zu den diesbezüglichen Anträgen nicht, ob diese Vergütungen der Künstlerin ohne Einbehaltung der Abzugsteuer in voller Höhe zugeflossen waren oder ob die jeweiligen Veranstalter (Vergütungsschuldner) die Abzugsteuern jeweils einbehalten, angemeldet und abgeführt hatten. Dies kann indessen offenbleiben, weil es nach den Gegebenheiten des Streitfalls in beiden Fällen an einem gegenwärtigen Rechtsschutzinteresse der Künstlerin fehlen würde.
Soweit der Künstlerin die Vergütungen brutto -d.h. entgegen § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG ohne Einbehaltung von Abzugsteuern- zugeflossen sein sollten, könnte ein Rechtsschutzinteresse allenfalls damit begründet werden, dass die begehrten Freistellungsbescheinigungen im Rahmen von durch die jeweiligen Finanzämter gegen die Vergütungsschuldner angestrengten Haftungsverfahren (§ 50a Abs. 5 Satz 5 EStG i.V.m. § 191 der Abgabenordnung -AO-) oder Nachforderungsverfahren (§ 167 AO) haftungs- bzw. anspruchsausschließend oder -mindernd geltend gemacht werden könnten. Das ist jedoch im Falle von vor Antragstellung geleisteten Vergütungszahlungen ausgeschlossen, weil nach der oben dargestellten Gesetzeslage die Geltungsdauer der Freistellungsbescheinigung frühestens an dem Tag beginnt, an dem der Antrag beim BZSt eingegangen ist und eine Abstandnahme vom Steuerabzug voraussetzt, dass dem Vergütungsschuldner die Freistellungsbescheinigung vorliegt (§ 50d Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 1 und Satz 5 EStG). Mit diesen, durch das Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2001 -StÄndG 2001-) vom 20.12 20011 eingefügten Regeln sollte erreicht werden, dass das Verfahren der Abstandnahme vom Steuerabzug nur ein in die Zukunft gerichtetes Verfahren ist, das keine Berechtigung mehr hat, wenn die Vergütungen dem Gläubiger zugeflossen sind2.
Aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.04.19963 ergibt sich nichts anderes. Denn der jenem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt lag so, dass der dortige Vergütungsgläubiger die Freistellung vom Steuerabzug bereits vor Erhalt der Vergütungen beantragt hatte.
Sofern die Vergütungsschuldner die Abzugsteuern entsprechend den Vorgaben des § 50a Abs. 4 und 5 EStG einbehalten, angemeldet und an die Finanzämter abgeführt hatten, wäre ein Rechtsschutzinteresse der Künstlerin nur gegeben, wenn die nachträgliche Erteilung der Freistellungsbescheinigungen zu einer Änderung der gemäß § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehenden Steueranmeldungen führen könnte. Das ist indessen nicht (mehr) der Fall.
Zwar kann eine unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Steuerfestsetzung gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO geändert werden, solange der Vorbehalt wirksam ist. Jedoch entfällt der Vorbehalt der Nachprüfung, wenn die Festsetzungsfrist abläuft (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO). Und von einem zwischenzeitlichen Ablauf der Festsetzungsfristen ist hier auszugehen: Die Festsetzungsfrist für die in Rede stehenden Steuern beträgt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in den Fällen, in denen eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird. Da die Abzugsteuern im Jahr 2006 angemeldet worden sind, begann die Festsetzungsfrist mithin mit Ablauf des 31.12 2006 und endete mit Ablauf des 31.12 2010. Zu dem letztgenannten Zeitpunkt sind demnach auch der Vorbehalt der Nachprüfung und die Änderungsmöglichkeit nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO entfallen.
Soweit zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Juli 2010 mit Blick auf die seinerzeit noch bestehende Änderungsmöglichkeit der Steueranmeldungen gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO zunächst ein Rechtsschutzinteresse bestanden hat, ist dieses mit dem Wegfall des Vorbehalts der Nachprüfung nachträglich entfallen. Das Rechtsschutzinteresse als Sachurteilsvoraussetzung muss jedoch noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Sachentscheidung vorliegen; der Künstler muss ggf. die Hauptsache für erledigt erklären, um einer Klageabweisung durch Prozessurteil zu entgehen4. Dies ist im Streitfall ebenso wenig geschehen wie eine Umstellung des Klageantrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Antragsablehnung (Fortsetzungsfeststellungsklage, s. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO).
Auch könnte der nachträgliche Erlass einer Freistellungsbescheinigung nicht zu einer Änderung der Steueranmeldung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO führen. Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Der Erlass eines Freistellungsbescheids kommt schon deshalb nicht als rückwirkendes Ereignis in Betracht, weil die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung gemäß der durch das Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (Richtlinien-Umsetzungsgesetz) vom 09.12 20045 eingefügten Regelung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO nicht als rückwirkendes Ereignis gilt6.
Zu Recht hat die Vorinstanz die Klage auch insoweit als unzulässig abgewiesen, als die für die jeweiligen Vergütungsschuldner örtlich zuständigen Finanzämter die Abzugsteuern inzwischen auf 0 € festgesetzt haben, weil die Einnahmen nicht mehr als 250 EUR betragen und der Abzugsteuersatz daher bei 0% liegt (§ 50a Abs. 4 Satz 5 Nr. 1 EStG). Mit Bestandskraft der diesbezüglichen Festsetzungsbescheide steht fest, dass die betreffenden Vergütungsschuldner keine Abzugsteuern einzubehalten und abzuführen haben; Haftungs- oder Nachforderungsverfahren gegen die Vergütungsschuldner drohen daher nicht. Welchen rechtlichen Vorteil die Künstlerin in diesen Fällen mit der zusätzlichen Erteilung von Freistellungsbescheinigungen noch erzielen könnte, ist nicht ersichtlich und wird von der Künstlerin nicht schlüssig dargetan.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 25. April 2018 – I R 59/15
- BGBl I 2001, 3794, BStBl I 2002, 4[↩]
- Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags zu dem Regierungsentwurf eines StÄndG 2001, BT-Drs. 14/7341, S. 13; vgl. auch Gosch in Kirchhof, EStG, 17. Aufl., § 50d Rz 16; Blümich/Wagner, § 50d EStG Rz 55[↩]
- BFH, Urteil vom 17.04.1996 – I R 82/95, BFHE 180, 365, BStBl II 1996, 608[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 180, 365, BStBl II 1996, 608[↩]
- BGBl I 2004, 3310, BStBl I 2004, 1158[↩]
- zutreffend Niedersächsisches FG, Urteil vom 30.04.2015 – 6 K 209/14, EFG 2015, 1900; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 50d Rz 19[↩]